POEMAdeutschland

Armut und Umwelt in Amazonien

Kokosnüsse

Immer mehr nachwachsende Rohstoffe werden in Kraftfahrzeuge eingebaut – Zehn Jahre Belem Projekt

VON NORBERT LOSSAU

Belém - Unter Kokospalmen am Amazonasstrand feierten die Be­wohner der kleinen Gemeinde Praia Grande auf der brasilianischen Regenwaldinsel Marajó mit Musik und Tanz das zehnjährige Jubiläum eines außergewöhnlichen Projektes, das ihnen bescheidenen Wohlstand mit zumindest keimfreiem Trinkwasser und ein wenig elektrischer Energie aus einer Windkraftanlage beschert hat.

Einen Großteil ihres Einkommens erwirtschaften die kleinbäuerlichen Familien jetzt nämlich durch den Anbau und die Verarbeitung von Ko­kosnüssen, die - nach einer großen Zahl von Produktionsschritten -schließlich als Rückenlehnen, Armaturen oder Nackenstützen in Daimler-Chrysler- Fahr­zeugen landen. "Auf dieses Dorf blickt nicht nur Europa und die USA, sondern die ganze Welt, rief vergangene Woche ein Vertreter des deutsch-amerikani­schen Automobilkonzerns den fröhlich feiernden Amazoniern zu.

Begonnen hatte alles vor gut zehn Jahren mit. einer Anregung des damaligenDaimler-Benz-Bitriebsrats Willi Hoss, die Fasern von Kokosnüssendoch im Automobilb au zu nutzen. Er hatte die Visionen des an der Universität von Belém forschenden Professors Thomas Mitschein nach Stuttgart übermittelt. Zunächst hielten viele Daimler-Forscher es für einen ausgemachten Unsinn, auf die klar definierten Eigenschaften moderner Kunststoffe zu Gunsten von Kokosfasern verzichten zu wollen. Würden sie überhaupt ausreichend reißfest sein, um sich ,maschinell verarbeiten zu lassen?

Und würden sie nicht viel zu schnell verrotten? Ben van Schaik, Präsident von Daimler-Chrysler do Brasil, gesteht: Es gab anfangs große Zweifel an dem Belém-Projekt.

Doch diese Zweifel sind längst Vergangenheit. In Laborversuchen konnte schnell nachgewiesen werden, dass die Eigenschaften der Kokosfasern in jeder Hinsicht mit denen von Kunststoff konkurrieren können. Beim späteren Recycling sind. die Naturfasern sogar überlegen, und auch beim Kostenvergleich haben sie die Nase vom. "Das Ganze rechnet sich für uns“, erklärt van Schaik,

Im vergangenen Jahr 153 Tonnen Naturfasern in Kraftfahrzeuge einbauen ließ. 1998 waren es erst fünf Tonnen gewesen. Ein wunderbarer Nebeneffekt dieses wirtschaftlichen Handelns besteht indes darin, dass in den Landkreisen um Belem heute etwa A00 kleinbäuerliche Familien Kokosnüsse an gemeindeeigene Produktionsstätten für Faserprodukte liefern können. So wird das Aus kommen von mehr als 5000 Menschen gesichert.

I53 Tonnen Naturfasern in Kraftfahrzeuge einbauen ließ. 1998 waren es erst fünf Tonnen gewesen.

Im vergangenen Jahr wurde in Belém die Firma Poematec in Betrieb -genommen, die eine noch nicht ausgeschöpfte Kapazität zur Verarbeitung von 55 Tonnen Kokosfasern pro Monat besitzt. Derzeit produzieren hier 44 Mitarbeiter monatlich 7000 Fahrzeugsitze und 50 000 Matten zur Geräuschdämmung. Aus je 10 000 Kokosnüssen lassen sich eine Tonne Fasern und fünf bis sechs Tonnen Düngemehl gewinnen. "Wir nutzen von den Nüssen restlos alles aus“, erklärt Professor Mitschein, der einer von acht Poematec-Gesellschaftern ist. Daimler-Chrysler hat zwar die junge Firma bei der Beschaffung von Maschinen unterstützt, sich jedoch bewusst nicht an dem Unternehmen beteiligt. "Das würde nur ein mögliches , Engagement unserer Wettbewerber erschweren", erklärt van Schaik. Und das läge doch nicht im Interesse der guten Sache. Und tat­sächlich, Auch VW hat schon bei Poematec zumindest Ersatzteile aus Kokosfasern fertigen lassen. Über einen regulären Liefervertrag zwischen VW und dem Unternehmen in Belém werde, so Mitschein, derzeit verhandelt. Auch Honda, Fiat Ford und General Motors haben dem Vernehmen nach bereits Interesse an den Faserprodukten angemeldet.