POEMAdeutschland

Armut und Umwelt in Amazonien

Change-The-World-Preis für Poema

Das Poema-Projekt erforscht die nachhaltige Nutzung des tropischen Regenwaldes und will damit den dort lebenden Menschen eine Lebensgrundlage und Perspektive eröffnen. Abholzung, Brandrodung und Raubbau dieser unschätzbaren Ressource der Menschheit lassen sich nur dann verhindern, wenn Alternativen aufgezeigt werden. Im Rahmen des Poema-Projektes produzieren mehrere hundert kleinbäuerliche Familien unter anderem Kokosfasern und verarbeiten diese selbst in kleinen Fabriken weiter oder liefern sie an die Automobilindustrie.

Laudatio von Franz Alt anlässlich der Preisverleihung am 11. Oktober im Neuen Schloss in Stuttgart:

Im Jahr 2003 verfügen die vier reichsten US-amerikanischen Männer über mehr Geld als die eine Milliarde der ärmsten Menschen.
Im Jahr 2003 gibt das US-Militär in 32 Stunden so viel Geld aus wie die UNO in einem Jahr zu Verfügung hat.

Im Jahr 2003 sterben täglich mehr als 20.000 Menschen an Hunger - und zugleich gibt es über eine Milliarde Menschen, die an Übergewicht leiden.

Im Jahr 2003 verbrennen wir an einem Tag so viel Kohle, Gas und Öl wie die Natur in 500.000 Tagen geschaffen hat. Wir verbrennen die Zukunft unserer Kinder und Enkel.

Im Jahr 2003 rotten wir täglich etwa 100 Tier- und Pflanzenarten aus.

Im Jahr 2003 verfügt die New Yorker Feuerwehr über viermal mehr Geld als die UNO-Umweltbehörde von Klaus Töpfer, die für die Umweltpolitik des gesamten Planeten zuständig ist.

Wir führen einen Dritten Weltkrieg gegen die Natur und damit gegen uns selbst.

Vor diesem Hintergrund haben sich die Initiatoren des Globalen Marschallplans gefragt: Wie organisieren wir Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit in der Zukunft?

Zunächst einmal: es ist nicht wahr, dass wir nichts tun können. Unfrieden und Ungerechtigkeit, Terrorismus und Hunger sind nicht naturgegeben, sie sind menschengemacht.

Wolfgang Schäuble sagte in seinem neuen Buch: Zwei Promille des Bruttosozialprodukts der Industriestaaten reichen aus, um der gesamten Dritten Welt die Schulden zu erlassen. Das wäre ein erster Schritt.

Die Initiatoren des Globalen Marshallplans gesehen sind davon überzeugt, dass wir im Jahr 2003 vom Marschallplan der Nachkriegszeit viel lernen können und müssen. Der damalige Marschallplan der USA für Westeuropa und hauptsächlich für Westdeutschland war die Voraussetzung für Frieden, für Freiheit, für Wohlstand und schließlich für das friedliche Zusammenwachsen unseres Kontinents in den letzten 58 Jahren. Und in den letzten Tagen erleben wir eine ähnliche Entwicklung in Asien.

Die Atommacht China und die Asean-Staaten Südostasiens haben soeben einen Nichtangriffspakt geschlossen. Der Pakt soll helfen künftige Streitigkeiten friedlich durch Verhandlungen zu lösen.

Singapurs Regierungschef Goh Chok Tong sagte: auch Indien werde wahrscheinlich den Pakt beitreten. Wenn das geschieht, dann sind 3 Milliarden Menschen in einem Friedenspakt vereinbart.

Das hat es in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben: die Hälfte der Menschheit garantiert sich gegenseitig Frieden. Zugleich forcieren die Asean-Staaten auch den Freihandel.

Die 10 Asean-Staaten haben umfangreiche Handelsverträge mit China, Indien und Japan abgeschlossen und zugleich den Ausbau einer Wirtschaftsgemeinschaft bis 2020 bekräftigt.

Als ersten Schritt schafft China schon ab Januar 2004 die Einfuhrzölle für Agrarprodukte aus Südostasien ab. Die überraschenden Vereinbarungen kamen auf der indonesischen Insel Bali zustande. Überraschend sind die Vereinbarung, weil die Demokratie Indien, das kommunistische China, bettelarme Länder wie Burma oder Kambodscha, aber auch relativ reiche Staaten wie Thailand oder Singapur künftig ökonomisch zusammenarbeiten.

Vorbild war und ist die Europäische Union, das friedliche Zusammenwachsen Europas.

Warum brauchen wir Vorbild und Vorreiter wie das POEMA- Projekt?
Vorbilder machen Mut in Zeiten der Resignation.
Vorbilder Stiften zu Hoffnung an.
Und Hoffnung ist unsere wichtigste Zukunftsressource.

Noch können wir fast alle ökologischen Probleme lösen. Aber nur, wenn wir lernen, naturverträglich und naturverstehend zu wirtschaften. Was heißt das?

Wir haben heute alle notwendigen Kenntnisse, was andere Produktions- und Konsumprozesse angeht. Es fehlt allein die entsprechende Praxis. Wir wissen alles. Wir wissen alles. Wir handeln falsch. Wir tun nicht was wir wissen. Der Gegensatz zwischen Wissen und Tun kann für die Menschheit tödlich enden. POEMA hilft die Kluft zwischen Wissen und Tun zu schließen.

Die wichtige Frage: „Welche Wirtschaft braucht die Natur?“ war bisher in der klassischen Nationalökonomie überhaupt keine Frage. Die Natur, der entscheidende Wirtschaftsfaktor, war gar nicht vorhanden. Kapital und Arbeit waren und sind unsere Wirtschaftsfaktoren. Das Überleben der Menschheit wird jedoch davon abhängen, ob wir lernen, dass die NATUR der entscheidende Wirtschaftsfaktor ist. Die Natur ist die große Produzentin all dessen, was ist. Wir Menschen transportieren und formen, aber nur die Natur produziert wirklich: Das Brot und den Baustoff unserer Häuser, die Energie und die Rohstoffe unserer Autos, die Wärme unserer Wohnungen und die Kälte unserer Kühlschränke - alles verdanken wir der Natur. Sie ist Urproduzentin und eigentlicher Arbeitgeber. Deshalb gibt es keine Zukunft ohne nachwachsende Rohstoffe. Wir werden lernen, dass wir nur verbrauchen dürfen, was wieder nachwächst. – Das können wir von POEMA lernen.

Auch das Kapital ist unmittelbar von der Produktivität der Natur abhängig. Kein Euro Wert, kein Cent Zins, keine Rendite auf Kapital und kein Cent Lohn könnte entstehen, ohne dass darin die Produktivität der Natur enthalten wäre. Kein Bauer produziert Getreide und kein Energiekonzern produziert Energie. Die Natur produziert - Unternehmer und Arbeitnehmer organisieren, verarbeiten und verwandeln lediglich.

Seit 200 Jahren aber sind unsere industriellen Wirtschaftssysteme auf Naturzerstörung ausgerichtet. Der Dritte Weltkrieg gegen die Natur ist ein schrecklicher Krieg gegen uns selbst, gegen unsere eigene Natur. Wie aber müsste eine ökologische Wirtschaftsordnung aussehen, wie ein Friedensschluss mit der Natur, also ein Friedensschluss mit uns selbst?

Mit Sicherheit kann eine Wirtschaftsordnung der Zukunft nicht erfolgreich sein, wenn sie sich weiterhin so schizophren verhält wie bisher: Die Abteilung "Ökonomie" zerstört die Natur, und die Abteilung "Ökologie" versucht, die Zerstörungen zu reparieren. Der Umweltökonom und CDU-Umweltpolitiker Lutz Wicke hat ausgerechnet, dass e i n Euro, heute vorbeugend in den Umweltschutz investiert wird, v i e r Euro für spätere Reparaturen erspart. Vorbeugender Umweltschutz ist nicht nur billiger als spätere Reparatur, er ist auch der einzige Umweltschutz, der diesen Namen verdient. Ein zerstörtes Klima und eine zerstörte Ozonschicht sind nicht zu reparieren. Wenn wir unsere industrielle Lebens- und Produktionsweise nicht in Verantwortung vor der Natur zu erneuern bereit sind, dann sollten wir ehrlich sein und nicht länger von Naturschutz und Verantwortung für unsere Kinder sprechen. Dann hätten wir unseren Brutinstinkt endgültig verloren.

Auch wirtschaftliches Wachstum steht immer im Zusammenhang mit Werden und Vergehen. Wachstum und Absterben gehören zusammen. Grenzenloses Wachstum, das noch immer die offizielle Politik aller Industriestaaten ist, kennt die Natur nur als Krankheit - z.B. beim Wuchern von Krebszellen. Unser Wachstum ohne Grenzen ist ein Wachstum zum Tode. Geistig, kulturell, seelisch können wir endlos wachsen, niemals aber materiell und ökonomisch.

Die Natur ist der einzig wirkliche Produktionsfaktor. Die Natur ist der eigentliche Arbeitgeber.

POEMA steht für Pobreza e Meio ambiente na Amazônia. Das heißt: Armut und Umwelt in Amazonien.

Das Poema-Projekt erforscht die nachhaltige Nutzung des tropischen Regenwaldes und will damit den dort lebenden Menschen eine Lebensgrundlage und Perspektive eröffnen. Abholzung, Brandrodung und Raubbau dieser unschätzbaren Ressource der Menschheit lassen sich nur dann verhindern, wenn Alternativen aufgezeigt werden. Im Rahmen des Poema-Projektes produzieren mehrere hundert kleinbäuerliche Familien unter anderem Kokosfasern und verarbeiten diese selbst in kleinen Fabriken weiter oder liefern sie an die Automobilindustrie. Die Kokosfasern finden in Pkw und Nutzfahrzeugen Verwendung in Kopfstützen, Sonnenblenden sowie Sitz- und Liegepolstern. Mathias Kleinert hat die Initiative von Willi Hoss von Anbeginn an untertützt. Nach nunmehr gut zehn Jahren kann bilanziert werden, dass es in dem Projekt dank des Engagements der beteiligten Menschen gelungen ist, vielfältige, beim ersten Augenschein sehr unterschiedliche Interessen zum Ausgleich zu bringen – zum gegenseitigen Nutzen. Das POEMA-Projekt wird bereits in Südafrika und Südostasien nachgeahmt.

„Die Natur ist der beste Erfinder. Je mehr sich unsere Erfinder und Entwickler auf deren Spur begeben, desto mehr und bessere Erfolgsstories im Sinne einer ökologisch, sozial und auch ökonomisch nachhaltigen Entwicklung werden sie und wir alle ernten. Das Projekt Poema ist hierfür ein wunderbares Beispiel: Willi Hoss setzte sich als Betriebsrat von DaimlerChrysler vehement für die Erforschung von schnell nachwachsenden Rohstoffen aus dem Regenwaldgebiet Brasiliens ein. DaimlerChrysler ließ sich überzeugen – und investierte in Forschung und Technologieentwicklung für den Einsatz von Kokos- und und anderen Naturfasern wie Sisal im Autobau. Gewinner sind dabei alle, von den Ureinwohnern im Regenwald bis zu den Shareholdern.“

Als Willi Hoss, Initiator und Motor des Poema-Projektes in Brasilien, Anfang des Jahres 2003 starb, schrieb der „Liberal“, die größte Tageszeitung im brasilianischen Belém: „Morreu o cacique amazônico Willi Hoss na Alemanha“ - einer von uns ist in Deutschland gestorben.“

Willi Hoss hatte sich Zeit seines Lebens für eine bessere Welt eingesetzt, als Betriebsrat bei DaimlerChrysler, als Politiker in der Partei der Grünen, auch im Deutschen Bundestag. In Brasilien fand er Anfang der 90er Jahre die letzte große Aufgabe seines Lebens.

Das POEMA- Projekt ist deshalb vorbildlich, weil es die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort mit berücksichtigt. Die POEMA-Philosophie heißt: wir können den Regenwald nicht gegen die Menschen retten.

Das POEMA-Projekt wird in Belem und in der Nähe von Belem realisiert - Belem heißt Bethlehem - welch eine Symbolkraft. Von Bethlehem aus gab es schon einmal einen Aufbruch, der die Welt fundamental veränderte. Das verpflichtet, lieber Matthias Kleinert. Das ist Nachfolge, ganz konkret und ganz praktisch.

Ich halte das POEMA-Projekt auch von seinem politisch-philosophischen Ansatz her für beispielhaft. Der frühere Kommunist und spätere Grünen-Politiker Willi Hoss und das prominente CDU-Mitglied Matthias Kleinert haben für dieses Projekt vorbildlich zusammen gearbeitet. Das ist der Ansatz für eine neue politische Kultur.

POEMA ist gut für die Umwelt und gut für die Wirtschaft und zeigt deshalb einem guten Weg in die Zukunft. Es reicht nicht von einer besseren Welt zu träumen. Wir können sie schaffen. Das Paradies ist keine Utopie.

© 2003 - Franz Alt

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